Alle Achtung, liebe Leser! In diesem Beitrag geht es um´s Eingemachte. Dies wird kein gemütliches Blumen pflücken, eher ein akribisches Blumen zer-pflücken. Eine florale Charakterstudie, ein detailverliebtes Kennenlernen der innewohnenden, meß- und greifbaren Schätze unserer heilkräftigen Pflanzen. Taucht ein mit mir in eine geheimnisvolle Welt und erkundet die Fragen, warum und wie unsere Heilpflanzen auf physischer Ebene auf unseren menschlichen Organismus wirken. Spannende Antworten finden wir in den mittlerweile schon sehr gut erforschten Pflanzeninhaltsstoffen. Jene Stoffe, die als Nährsubstanz fungieren und Leben überhaupt erst ermöglichen, werden als primäre Inhaltsstoffe bezeichnet. Dies sind Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße, Vitamine und Mineralstoffe. Doch besonders interessieren uns die sekundären Pflanzenstoffe, die den Pflanzen zum Anlocken von Insekten oder zur Abwehr von Schädlingen dienen, also für das Über-Leben zuständig sind.
BITTERSTOFFE – die zellöffnenden Einschleuser
Der Pflanze dienen die bitter schmeckenden Stoffe als Fraßschutz. In unserem Körper regen sie unsere Drüsen zur Arbeit an. Dies bringt unseren Verdauungsapparat, Stoffwechsel und Kreislauf in Schwung. Je nach individuellen Bedarf wirken sie einerseits appetitanregend, andererseits als natürliche Essbremse. Bitterstoffe öffnen unsere Zellen und schleusen v.a. Eisen und Vitamin B12 ein. Mit Bitterstoffen kurbeln wir alle körpereigenen Prozesse an und spüren dies in einem gesteigerten Energielevel und mehr Lebensfreude.
Wo finden wir Bitterstoffe: in vielen Korbblütlern, wie Löwenzahn, Schafgarbe und Wegwarte. Weiters in Enzian, Kalmus, Meisterwurz, Engelwurz und Tausendguldenkraut.
Interessant: Leider hat der Mensch zur Geschmacksverbesserung Bitterstoffe weitgehend aus unseren pflanzlichen Lebensmitteln heraus gezüchtet. Um die fehlenden bitteren Vitalstoffe zu ersetzen, haben wir unserer Kreativität keine Grenzen gesetzt und Genussmittel wie Alkohol, Schokolade und Kaffee für uns entdeckt.
Achtung: Bitterstoffe sind bei Gastritis, Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür kontraindiziert, da sie die Magensaftkonzentration erhöhen.
GERBSTOFFE – die hantigen Grenzwächter
Gerbstoffe halten den Pflanzen Bakterien, Pilze und Viren vom Leibe und wirken der Fäulnis entgegen. Da sie eine unlösliche Verbindung mit Eiweiß eingehen (Lederherstellung) und dadurch eine Schutzschicht auf Haut und Schleimhaut bilden, schützen sie auch uns vor dem Eindringen „böser“ Mikroorganismen. Vor allem in der Therapie und Prophylaxe von Vaginalpilzinfektionen leisten sie gute Dienste (Bärentraube, Preiselbeere, Goldrute, Walnussknospe). Durch ihre adstringierende und antiphlogistische Wirkung werden Gerbstoffdrogen auch bei der Behandlung von Durchfall, Mund- und Rachenentzündung und Hämorrhoiden genutzt. Sie stoppen Blutungen, lindern Juckreiz und Schmerzen und leiten Toxine aus.
Achtung: Eine Überdosierung hemmt die Resorption von Vitaminen und Mineralstoffen. Deshalb: Eine innerliche Einnahme von Gerbstoffdrogen nie länger als 2 Monate, nicht öfter als 5 mal im Jahr, Bärentraube maximal 3 Tage.
Weitere Pflanzen mit Gerbstoffen: Rosengewächse wie Frauenmantel, Blutwurz und Brombeere, Lippenblütler wie Salbei, Heilziest, Braunelle.
SCHARFSTOFFE/SENFÖLGLYKOSIDE – die antibiotischen Einheizer
Diese scharf und bitter schmeckenden Substanzen halten der Pflanze Freßfeinde fern. Senföl wird bei Verletzung des Pflanzengewebes (z.B. durch Kauen) frei und kann erst dann seine Talente in unserem Körper entfalten. Innerlich eingenommen wirken sie als pflanzliches “Breitbandantibiotikum” und werden hauptsächlich bei Atemwegsinfekten und Blasenentzündung eingesetzt. Äußerlich angewendet können Senföle als örtlich wirkendes wärmendes Hautreizmittel bei rheumatischen Beschwerden Linderung verschaffen. Sie kommen ausnahmslos (bis auf Kapuzinerkresse) in Kreuzblütlern vor (Meerrettich, Brunnenkresse, Senf, Kohl) und entfalten ihre Wirkung am besten in rohem, nicht über 45° erhitztem Zustand.
ÄTHERISCHE ÖLE – die anrüchigen Flüchtigen
Diese leicht flüchtigen Substanzen lassen unsere Pflanzen durch Verdunstung und Bildung einer Schutzhülle die Sommerhitze ertragen, locken mit verführerischen Düften Insekten zur Bestäubung an und wirken außerdem antimikrobiell und antimykotisch. Auch wir Menschen profitieren von diesen Eigenschaften und von ihrer verdauungsunterstützenden Effekten. Zudem wirken Düfte entspannend, hormonell ausgleichend und stimmungsaufhellend.
Ätherische Öle finden wir vor allem in: Lippenblütlern (Salbei, Melisse, Pfefferminze, Lavendel), Korbblütlern (Kamille, Schafgarbe, Beifuß), und Doldenblütlern (Engelwurz, Meisterwurz, Kümmel, Fenchel, Anis).
CUMARINE – die duftenden Blutverdünner
Wie entspannend und ausgleichend ist doch ein duftendes Heublumenbad? Und als i-Tüpfelchen ein Gläschen aromatische Waldmeisterbowle dazu serviert. Verantwortlich für den typischen Heugeruch sind sogenannte Cumarine. Der Duft wird erst beim Trocknungs- oder Verwelkungsprozess freigesetzt und lässt sich als süßlich vanillig, zimtähnlich, krautig und würzig beschreiben. Cumarine wirken entzündungshemmend, beruhigend, krampflösend und schmerzstillend. Medizinisch werden Cumarinderivate aufgrund ihrer blutgerinnungshemmenden Wirkung zur Thromboseprophylaxe eingesetzt. Eine Überdosierung kann zu Kopfschmerzen, Übelkeit und Benommenheit führen.
Tagesdosis: 3g/Tag (entspricht 13 Waldmeisterstängel in 1l Wein)
Weitere Pflanzen, die Cumarin enthalten: Steinklee, Dill, Anis, Ruchgras, Labkraut, Kamille
Erwähnenswert an dieser Stelle sind die phototoxischen Furanocumarine (FC). Das heißt, gelangen FC auf sonnenbeschienene Haut, kann dies beim Pflücken oder Verarbeiten der Pflanzen zu verbrennungsähnlichen Symptomen führen. Die innerliche Einnahme hingegen ist vollkommen unbedenklich. Wir finden sie v.a. in Doldenblütlern wie Wiesen-Bärenklau und Engelwurz, aber auch in geringen Mengen in Schafgarbe, Johanniskraut und Zitrusfrüchten. Wirklich gefährlich ist nur der eingewanderte Riesen-Bärenklau!
SAPONINE – die seifigen Lösungsorientierten
Saponine dienen der Pflanze v.a. zur Abwehr vor schädlichen Pilzen. Sie verursachen in Wasser geschüttelt einen seifenartigen Schaum. Sie „öffnen“ unsere Zellen und übernehmen damit eine wichtige Einschleuserfunktion von Vitaminen und Mineralstoffen. Sie wirken bei Bronchitis sekretionsfördernd und schleimverflüssigend., harn- und schweißtreibend und schmerzstillend. Weitere Einsatzgebiete sind die Ausleitung von Wasseransammlung in Ödemen und zur Venenstärkung bei Krampfadern. Saponine dürfen nicht in die Blutbahn gelangen, da sie eine blutauflösende Wirkung haben. Interessant: Saponinhältige Pflanzen wurden vor der Erfindung chemischer Tenside erfolgreich zum Wäsche waschen verwendet (Rosskastanie, Efeu, Waschnuss).
Weitere Saponindrogen: Schlüsselblume, Königskerze, Seifenkraut, Süßholz, Braunelle
FLAVONOIDE – die zellschützenden “Blondinen”
Als Flavonoide werden alle gelb-orangen Pflanzenfarbstoffe bezeichnet. Sie schützen die Pflanze vor zu intensiver UV-Bestrahlung. In unserem Organismus haben sie ein weites Wirkungsspektrum. Viele Flavonoide haben antioxidative, kanzerogene Eigenschaften (Brokkoli, Apfel, Heidelbeere), einige stärken die Kapillargefäße (Rutin in Rosskastanie, Goldrute, Weinlaub), sind entzündungshemmend (Arnika, Ringelblume), wirken schweißtreibend (Holunder, Lindenblüte) und stimmungsaufhellend (Johanniskraut, Goldrute).
ANTHOCYANE – die gefäßstärkenden Blaumacher
Als Anthocyane bezeichnet man alle roten, blauen und violetten Farbpigmente. Diese sind auf chemischer Ebene den Flavonoiden sehr ähnlich. Auch ihre zellschützende, entzündungshemmende, schmerzstillende, kanzerogene und antiphlogistische Wirkung haben sie mit den “Blondinen” gemein.
Wo finden wir Anthocyane: Heidelbeere, Holunderbeere, Johannisbeere, Preiselbeere, Weintraube, Brombeere, Hagebutte
SCHLEIMSTOFFE – die süßen Beschützer
Schleimstoffe bilden einen Schutzfilm auf geschädigte Haut und Schleimhaut und wirken reizlindernd und entzündungshemmend.
Diese Eigenschaften macht man sich bei der Therapie von Magenschleimhautentzündung, Gastritis und Reizhusten zunutze. Weiters fungieren Schleimdrogen mit viel Wasser eingenommen Verstopfung entgegen.
Schleimstoffe sind enthalten in: Leinsamen, Malve, Käsepappel, Isländisches Moos
HERZGLYKOSIDE (Digitalisglykoside) – die giftigen Herzankurbler
Namensgebend war der Fingerhut (Digitalis). HG kommen auch oft in den giftigen Hahnenfußgewächsen (Adonisröschen) vor und werden medizinisch bei Herzinsuffizienz eingesetzt. Keine Selbstmedikation!!!
ALKALOIDE – die giftigen Heilkräftigen
Die meisten Alkaloide sind für den menschlichen Körper giftig. Viele schmecken bitter. Alkaloidhältige Pflanzen werden hauptsächlich homöopathisch genutzt.
z.B.: Koffein (Kaffee), Atropin (Tollkirsche), Chinin (Chinarinde), Strychnin (Brechnuss), Colchicin (Herbstzeitlose)
Pyrrolizidinalkaloide (PA): Dieses Alkaloid sorgt seit einigen Jahren für Diskussionen. Es gilt bei Langzeiteinnahme und hoher Dosierung als irreversibel leberschädigend. Kommt vor allem in Korbblütlern (Huflattich, Pestwurz) und Raublattgewächsen (Borretsch, Beinwell) vor. In der Apotheke gibt es PA-freie Züchtungen der betreffenden Pflanzendrogen.
Schön, dass so viele mit mir bis zum alkalischen Finale durch die innere Welt der Heilpflanzen durch getaucht sind. Und nun nichts wie hinaus zum Blumen pflücken!
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